Navigation im Wandel: Woher wir kommen und wohin wir gehen
Daten, Karten, Routen, Netze: Kartenanwendungen und Navigation im digitalen Raum
Kartenhalter, Faltpläne, Kaffeeflecken, Straßenenden am Kartenrand. Die fernfahrerromantisch anmutende Vorstellung einer mit Notizen versehenen Autobahnkarte, die vom vielmaligen Falten und Lesen zerschlissen in der Seitenablage der Fahrertür steckt, ist ein fernes Bild, das selbst in der Erinnerung so farbstichig ist wie ein altes Polaroid Foto.
Heute sind Autofahrer, die gleichermaßen in der Lage sind, eine Straßenkarte richtig zu falten und zu lesen, eine Seltenheit. Das Kartenlesen gehört zu den aussterbenden Kulturtechniken. Spätestens seit den ausgehenden 1990er Jahren verfügt jeder autofahrende Haushalt in Deutschland über ein Navigationssystem, das mit Sprachausgabe und Monitorkarten den Faltplan und das Kartenstudium abgelöst hat. Der praktische Nutzen ist nicht zu verkennen. Der Komfort siegt über die Gewohnheit.
Doch der technische Weg hin zum sprichwörtlich gewordenen Tom Tom oder Garmin war ein weiter. Stellte Honda 1981 noch ein Gerät vor, das ohne GPS auskommen musste, leistete es auch nicht viel mehr, als die gefahrene Strecke gegen Folienbild abzugleichen. Mit Navigationsgeräten heutigen Formats war das noch nicht zu vergleichen. Den ersten Vorstoß in Richtung eines eigenständigen Systems zur Straßennavigation machte 1983 Blaupunkt. Wurde damals auch schon eine Sprachausgabe der Fahranweisungen geboten, so dauerte es doch noch bis 1989, ehe das System auch echte digitale Straßenkarten enthielt. Die Verortung passierte in allen damals gängigen Systemen noch über Radsensoren oder Kreiselkompass. Das amerikanische Militär hatte das GPS Signal noch fest unter Kontrolle. Zwar verfügten schon 1990 die ersten Systeme über eine Ortung via GPS, jedoch gelang der Durchbruch erst im Jahr 2000 als die USA endgültig die Signale für GPS zur zivilen Nutzung freigaben.
Seither gibt es kein Halten mehr: Die fest im Fahrzeug verbauten Geräte waren bald Standard in den gehobenen Wagenklassen und mit der Einführung von immer kompakteren und leistungsstärkeren
Speichermedien gelang der Schritt hin zum mobilen Gerät für die Westentasche. Zahllose Varianten für Navigation auf Motorrädern, für Wanderer im Gelände und dergleichen mehr, sind seither entstanden. Zuletzt gelang noch der Sprung auf die Smartphones.
Medienübergreifende Landkartenanwendungen
Anwendungen mit Landkarten sind inzwischen auf unzähligen elektronischen Medien verfügbar. Es geht dabei gar nicht immer um den tatsächlichen Anwendungsfall der Navigation, sondern oft genug um Verortung von Ereignissen, Fotos und Erinnerungen auf Landkarten. Auch die Datengewinnung für die Landkarten geht mehr und mehr neue Wege. Die Digitalisierung vorhandener Papierkarten war der Anfang, inzwischen erstellen Projekte wie Google Earth eigene Karten mit großem finanziellen und technischem Aufwand. Der smartere Weg ist der der offenen Karten wie es
OpenStreetMaps es anbietet, bei denen User selbst Geodaten erfassen und zu einer Landkarte zusammenstellen. Das Wiki-Prinzip schafft so täglich aktualisierte Kartendaten – sogar von Feld- und Waldwegen, die auf kommerziellen Karten kaum je erfasst würden. Die Mitmach-Karten stehen offen und gratis nutzbar zur Verfügung und können sowohl für Web- als auch für Navigationsanwendungen
verwendet werden.
Der Trend im privaten Bereich geht in Richtung sozialer Medien, bei denen sogenannte „GeoTags“ eine Verortung von Inhalten auf Landkarten möglich machen. Die Navigation wächst hier also aus der
reinen Anwendung im Fahrzeug hinein in den stationären Computer und in den Lebensalltag seiner Anwender. Die Wegführung wird vom einstigen Hauptzweck also zunehmend zu einem selbstverständlichen Feature für viel umfassendere Systeme.
Zukunft mit verbundenen Systemen
Wohin die Reise zukünftig gehen wird, zeichnet sich immer klarer ab: Auch die Fahrzeug-Navigationssysteme folgen dem allgemeinen Trend der Vernetzung und der Integration. Der erste Schritt in diese Richtung wurde noch mit Zusatzdaten für die Wegführung gemacht. Das Traffic Massage Chanel (TMC) war das erste Modell, mit dem Live Daten von Extern in die Navigation
übergeben und dort verarbeitet werden konnten.
Die Vernetzung von Navigations- und auch ganz allgemein von Landkartenanwendungen schafft einen zusätzlichen Mehrwert und zahllose neue Möglichkeiten der Nutzung von Geodaten. Nicht nur
ist es via Mobiltelefon heute möglich, exakte Positionsdaten an andere Teilnehmer zu versenden, es ist auch möglich, sich selbst und andere permanent orten zu lassen. Außer dem Smartphone und
der passenden App sind keine zusätzlichen Geräte notwendig.
Diesem Trend zu Vernetzung folgen auch die Hersteller klassischer Navigationsanwendungen für den mobilen Einsatz. Auch hier ist die Übertragung der in der Navigation errechneten Daten über die voraussichtliche Ankunftszeit und aktuelle Position auf spezielle Plattformen inzwischen möglich. Der konkrete Anwendungsfall kann dabei so trivial sein wie die Voraussage der Ankunft beim Familientreffen wie auch so speziell, wie die Avisierung der genauen Ankunftszeit einer Lieferung mit eiligen Waren für einen Kurierfahrer. Die Mehrwertnavigation, die den Anwendern über die Grundfunktion der Routenführung hinaus weitere sinnvolle Dienste bereitstellt, wird in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen.
Mehrwertnavigation als Zukunftstrend
Insbesondere im professionellen Umfeld, bei dem es um exakte Positionsbestimmung und genaue Terminvorhersagen geht, können die neuen Techniken entscheidende Vorteile bieten. Vorstellbar sind Dienste, die bis hin zu einer Live-Sendungsverfolgung gehen. Die eigentliche Routenführung spielt dann nur noch eine untergeordnete Rolle gegenüber den unmittelbar aus der Routenführung gewonnenen Informationen.
Die Vernetzung wird in Zukunft sicher weiter zunehmen und die Medien, über die die Navigationsanwendungen laufen weiter zusammenwachsen. Werden im privaten Umfeld die Verknüpfungenzwischen sozialen Netzen, Geodaten und Bewegungsprofilen immer enger, so ist zu erwarten, dass sich ein entsprechender Trend auch im kommerziellen Umfeld vollziehen wird. Die von Amazon vorgestellte Drohne zur individuellen Belieferung auf der 1:1 Ebene wird zukünftig ihre Entsprechung in der Navigation von Sendungen und Ihrer Verfolgung finden. Das Zusammenwachsen von Navigations- und Sendungsinformationen wird zukünftig ein genaues Tracking von Sendungen ermöglichen: Man wird den Postboten mit der sehnlichst erwarteten Paketsendung wohl in Zukunft schon in der Anfahrt beobachten können, ohne dabei aus dem Fenster zu sehen. Die Zeiten von Landkarten aus Papier sind endgültig vorbei und werden ganz sicher nicht wiederkehren. Das neue Kartenpapier ist digital und knitterfrei. Die Möglichkeiten sind annähernd grenzenlos und die Wirkmächtigkeit kaum abzuschätzen. Die Zukunft der Navigation ist digital und vernetzt.